Das Leben des Künstlers

Brüche in der Biografie prägen die Werke vieler Künstler. Im Leben von Hans Roelli waren es der frühe Tod der geliebten Mutter und der Jähzorn des Vaters, die den Lyriker und Musiker schon in frühen Jahren prägten. Doch der Reihe nach:

Hans Roelli kam am 7. September 1889 in Willisau zur Welt – als ältester von drei Söhnen des Dr. Hans Roelli, Fürsprecher, und der Anna Maria Roelli, geborene Bargetzi. Schon ein Jahr nach der Geburt von Hans wurde dessen Vater zum Chef des Eidgenössischen Versicherungsamtes nach Bern berufen. Als Hans sechs Jahre alt war, erfolgte die Wahl des Juristen zum ordentlichen Professor für Versicherungsrecht an die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich. So war es die Stadt Zürich, in der Hans Roelli die prägende Jugendzeit verbrachte. Tief in seinem Herzen blieb er aber ein Kind des Landes, die Luzerner Eigenart schimmerte bei ihm immer durch.

Hans war erst 13 Jahre alt, als seine Mutter starb. Dieser Verlust traf die ganze Familie hart, besonders aber den ältesten Sohn. Die Mutter hatte die Gegensätze zwischen dem jähzornigen, in starren Grundsätzen gefangenen Vater und dem sensiblen Hans immer wieder geglättet. Diese wichtige Bezugsperson fehlte nun. Hans Roellis Biograph Carl Alfred Stüssi schrieb dazu: «Vor allem konnte sich der seelisch doch sehr empfindsame und liebesbedürftige Hans lange nicht vom Tode seiner Mutter erholen und war nun fortan ganz den Herrscherlaunen des Vaters ausgesetzt, der durchaus kein schlechter Mensch und Charakter gewesen ist. Doch war er leider durch eine tyrannische Liebe zu den Seinen und durch einen übertriebenen Ehrgeiz blind für die anders gearteten Söhne geworden.» Den frühen Tod der Mutter war für Hans ein tief erschütterndes Erlebnis, das er später im Gedicht «Mutter» verarbeitete.

Der Vater wollte, dass Hans Zahnarzt wird. Hans Roelli ein Zahnarzt? Angesichts seiner Interessen, Neigungen und Anlagen schlicht unvorstellbar! Überhaupt gingen die Auffassungen zwischen Vater und Sohn weit auseinander. Und für Hans war früh klar: Er wollte Dichter werden! Wegen seiner einseitigen Begabungen scheiterte er im Gymnasium, das er in der sechsten Klasse verliess. Der bekümmerte Vater versuchte nun erfolglos, seinem ältesten Sohn verschiedene Berufe schmackhaft zu machen. Seinen Wunsch, Hans möge Zahnarzt werden, hielt der Sohn im Gedicht «Berufswahl» fest.

Die Gegensätze zwischen Vater und Sohn wurden so gross und unüberbrückbar, dass Hans Roelli mit dem Erreichen der Volljährigkeit das Elternhaus verliess. Er begab sich nach Wildhaus im Toggenburg, wo er ein altes Häuschen mietete und sich der geliebten Dichtkunst widmete. Weil sich davon nicht leben liess, betätigte er sich mit Arbeiten bei Bauern, vor allem als Zusenn. Da er aber auch sportlich talentiert war, frönte er dem Skisport, wurde Mitbegründer des Skiklubs Wildhaus und profilierte sich als Unterhaltungskünstler.

In Wildhaus begann Hans, seine Gedichte zur Laute zu singen. Und seine Suche nach dem, der er werden wollte und musste. Sein Ringen um seine Kunst liess ihn sich selbst immer besser erkennen. Um seine materielle Existenz zu verbessern, zog er nach einiger Zeit nach Flims, wo er sich als Bademeister betätigte. Überhaupt war es der Tourismus, der ihn in Beschlag nahm. Er wurde Kurdirektor in Pontresina, von 1920 bis 1930 versah er das gleiche Amt in Arosa. Dank dieses beruflichen Aufstieges verbesserte sich das gespannte Verhältnis zu seinem Vater, der die Tätigkeit als Tourismusverantwortlicher anerkannte.

Während der Aroser Zeit wurde Hans Roellis Dichtkunst immer fruchtbarer. Vor allem die Singabende förderten seinen Bekanntheitsgrad. Mit 40 Jahren gab er das Amt des Kurdirektors auf, um sich fortan während zweier Jahre als freier Unternehmer zu betätigen. Dann war er Skilehrer und wurde immer mehr ein freier Schriftsteller.

Es folgten die Jahre der Reife und der grossen Produktivität. Einher mit diesem Lebensabschnitt ging oft eine karge materielle Situation. Künstlerschicksal! Durch die späte Heirat mit Margrit Hubacher nahmen diese Sorgen ab 1941 spürbar ab. Sie, ebenfalls eine begabte Künstlerin, war die Ergänzung zu ihrem Gatten. Hans Roelli konnte nun endlich sein Leben leben, so wie er es sich immer gewünscht hatte. Freilich blieben ihm die Mühsale eines Dichters nicht erspart.

Rede von Theodor Abt